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Neulich im Netzwerk: Ehrlich währt am längsten

13. Juni 2017 / Radio, Stadtzeit

Ehrlich währt am längsten - weiß der Volksmund. So ist Ehrlichkeit eine Eigenschaft und Tugend, die wir an anderen schätzen und nach der wir oftmals selbst streben, um uns mit ihr zu brüsten.

Lügner auf der anderen Seite werden verachtet und falls möglich gemieden. Wer wird schon gerne hinters Licht geführt? Und überhaupt: Man selbst ist eigentlich immer ehrlich, das ist schließlich auch Ausdruck eines guten Charakters.

Ganz so einfach ist es mit der Ehrlichkeit dann aber doch nicht, denn Tugend hin oder her, permanente Offenheit kann auch ihre Schattenseiten haben.

Stellen Sie sich nur einmal vor, wie ein ganz normaler Tag in Ihrem Leben aussehen würde, wenn jeder ausschließlich ehrlich sein würde.
Im Büro werden Sie mit einem „Heute siehst du aber wirklich mies aus" empfangen, der Kollege, mit dem Sie in der Pause immer Smalltalk treiben sagt, dass er Sie aufdringlich und Ihren Humor schrecklich findet, ihre beste Freundin lehnt eine Essenseinladung ab, weil sie der schlechteste Koch der Welt sind?
Lügen werden eben nicht nur eingesetzt, um andere zu betrügen oder sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Sie sind ein grundlegender Aspekt im sozialen Miteinander, ohne den viele Beziehungen in die Brüche gehen würden. Kleine Notlügen sind deutlich freundlicher als die brutale Wahrheit.

Kürzlich war bei „Zeit online" zu lesen, dass die japanische Polizei sich langweilt. Seit 13 Jahren sinkt die Kriminalitätsrate stetig. Pro 100.000 Einwohner gibt es gerade 5 Überfälle pro Jahr. In Deutschland seien es elfmal so viele.

Die Gründe werden von vielen Wissenschaftlern derzeit untersucht. Von Traditionen, einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl über eine gute wirtschaftliche Lage bis hin zur höheren Stigmatisierung von Kriminalität ist da vieles im Gespräch.

Aber mit Kriminalität fängt es ja nicht an. Sondern mit einem Wertegerüst.

Ehrlichkeit ist eine der wichtigsten Tugenden des Menschen. Dieser Aussage würden wohl die meisten auf Anhieb zustimmen. Schaut man sich jedoch ein wenig um, scheint bereits diese These alles andere als ehrlich zu sein.

Natürlich hab ich das schon erledigt..., Nein, davon wusste ich wirklich nichts..., Ich und schummeln? Niemals... und Oh nein, mein Ticket für die Fahrt muss ich zuhause in der anderen Tasche vergessen haben...

Lügen, Betrügen und Manipulieren scheint an der Tagesordnung zu sein. Dabei geht es nicht einmal um die großen Dinge, schon bei Kleinigkeiten halten es die meisten mit der Ehrlichkeit nicht so genau.

Da stellt jemand einen Blumentopf auf, um die Straße hübscher zu machen und der wird dann geklaut. Das ist nicht nur schade, sondern es zerstört auch Vertrauen.

Andererseits stand mein Auto neulich tagelang unverschlossen auf der Straße und weder das Navi noch die Kaugummis wurden geklaut.

Ehrlich währt eben doch am längsten und so umgeben wir uns am liebsten mit Menschen, die die Wahrheit sagen und sich nicht hinter Lügen und Täuschungen verstecken.
Trotzdem gibt es kaum jemanden, der im Lebenslauf nicht wenigstens ein kleines bisschen flunkert oder die Realität zumindest etwas bunter beschreibt, als sie vielleicht ist. Es wäre aber auch falsch, Unehrlichkeit zum allgemeinen Standard zu erklären.
Ehrlichkeit stirbt also nicht aus, wir werden blind für sie.
Ein Sprichwort lautet Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht. Das Stigma der Unehrlichkeit haftet schnell und langanhaltend.
Aber wir machen uns auch gerne vor, dass wir Ehrlichkeit als höchstes Gut ansehen. Und sind damit schon wieder unehrlich, diesmal uns selbst gegenüber.
Ehrlichkeit ist oftmals nicht das, was wir erwarten und so kann es durchaus schwierig oder gar schmerzhaft sein, mit absoluter Offenheit konfrontiert zu werden.

Die Wahrheit will man eben auch nur dann hören, wenn sie zu den eigenen Vorstellungen passt. Der Grat zwischen ehrlich sein oder besser die Gefühle des anderen in Schutz nehmen und ein wenig flunkern ist dabei sehr schmal.

Voltaire sieht das Folgendermaßen: Alles was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch sagen.

(grit)

Neulich im Netzwerk - Der Kommentar mit Grit Hasselmann

Autor: ah