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Claus Bachs Bildarchiv: Rosa Pärchen vor Schiffswrack

16. Mai 2019 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

"Mögest Du in interessanten Zeiten leben". So heißt das aktuelle Motto der diesjährigen Biennale in Venedig, welche am 11. Mai 2019 eröffnet wurde. Erdacht vom New Yorker Kurator Ralph Rugoff. Freilich gemeint als süffisante Anspielung auf aktuelle Zustände unserer Welt. Die eingeladenen Künstler agieren als deren Seismographen. Zur neuesten Ausgabe der weltweit ältesten internationalen Kunstausstellung sind denn auch verschiedenste Arbeiten und Interventionen in den berühmten Länderpavillions und im öffentlichen Raum zu sehen.Traditionsgemäß war am Tag der Eröffnung großer Publikumsbahnhof zu verzeichnen. Kurzum, die übliche Vorgehensweise.
Freilich hat sich auch dieses Mal rasch eine Art visuelles Higlight herauskristallisiert: Der Schweizer Künstler Peter Büchel stellt im Herzen der Stadt jenes Flüchtlings-Schiffswrack aus, welches im April 2015 vor der italienischen Insel Lampedusa im Mittelmeer gesunken war. Damals starben 700 Flüchtlinge. Selbstverständlich rief das sofort die entsprechenden kalkulierten Reaktionen hervor. Italiens rechte Regierungspartei Lega protestierte gegen jene Installation und sieht es als politische Provokation. Der Präsident der Biennale, Paolo Baratta, hielt dagegen und kommentierte: "Das Wrack regt die Menschen zum Nachdenken an und spricht das Gewissen an. Das ist eine Hauptaufgabe der Kunst." Soweit so gut. Allerdings lebt Kunst nicht nur mittels öffentlicher Statements, sondern auch durch ihre Besucher und deren agierendes Wahrnehmen.
Womit wir wieder beim Publikum wären. Gerade bei derart berühmten Ausstellungen sind immer die sogenannte üblichen Verdächtigen, sprich ein gewisses Stammpublikum auszumachen. Dazu gehört schon seit Jahrzentendas deutsche Künstlerpaar Eva & Adele.

Die zwei weiß geschminkten glatzköpfigen Männer in meist üppig rosa Damenkostümen, weißen Schals und kompatiblen Accessoires präsentieren sich seit den 1980iger Jahren als feinsinnig betrachtendes Ausstellungsbesucherpaar. Sie selbst sehen sich gern als lebende Kunstfiguren. Über die Jahre haben sich die beiden den Ruf hart erarbeitet, die jeweilige Veranstaltung mittels ihrer Anwesenheit zu adeln und sich mutwilllig fotografieren zu lassen. Mit anderen Worten: Wo sie sichaufhalten, befindet sich der angesagte Hotspot der zeitgenössischen Kunstwelt. Und man hat die Garantie, am richtigen Ort zu sein und dazu zu gehören. Freilich ließ sich auch jenes Paar nicht nehmen, ein Porträtfoto vor dem Schiffswrack Peter Büchels anfertigen zu lassen. Also auch wie gehabt. Allerdings gerät jene Situationnun buchstäblich in Schlagseite. Dahin ist jener Moment des Nachdenkens und Innehaltens ob der Vorgeschichte des Flüchtlingsbootes. Nun ist es bloße Staffage des Biennale-Kunstbetriebs. Visueller Fetisch, einem Kunst-Souvenir gleich. Dessen Geschichte zur austauschbaren Belanglosigkeit verkommt. Ein Zustand, den der Künstler wahrscheinlich mit einkalkuliert hat. Denn Kunst ist eben auch zynisch und taugt nur bedingt zum Aufklären. Ein Schelm, wer schlechtes dabei denkt.

(Claus Bach)

 
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Autor: nbv