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Claus Bachs Bildarchiv: Aus gegebenem Anlass
05. September 2018 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Im September 2013 spaltetet ein Werbeclip der speziellen Art die Gemüter der Netzgemeinde:
In einer historischen Dorfkulisse des ausgehenden 19. Jahrhunderts fährt eine nagelneue Limousine der Marke Mercedes Benz die Hauptstraße entlang. Die Bewohner beäugen die fremde Erscheinung misstrauisch. Vor einer Gruppe spielender Kinder stoppt das Gefährt plötzlich. Wie von Geisterhand. Dank allerneuester sensorgesteuerter Sicherheitstechnik. Ein paar Meter weiter rennt ein kleiner Junge mit einem Luftballon auf die Dorfstraße. Entspannt beobachtet ihn seine Mutter bei ihrer Hausarbeit. Der allerdings wird nun von der Limousine treffsicher umgefahren. Entsetzt rennt die Mutter zum überfahrenen Kind und kann gerade noch "Adolf!" schreien. Schwarzblende. Am Ende des 100 Sekunden langen Werbeclips wird der Name der Ortschaft eingeblendet: "Kronland-Oberösterreich: Ortschaft Braunau am Inn". Und danach ist die Werbebotschaft zu lesen: "Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen."
Mit anderen Worten: Hier wurde mittels vorausblickendem Hightech-PKW schon mal der kleine Adolf Hitler entsorgt. Um der Weltgeschichte ein anderer Verlauf zu geben. Die erfundene Story des Clips entstammt einer studentischen Arbeit der Filmakademie Baden-Württemberg.
Wie nicht anders zu erwarten, hat sich die Firma mit dem Stern sofort von dem Film distanziert und die Nichtautorisierung angezeigt. "Wir sind der Überzeugung, dass es unangemessen ist, den Tod eines Menschen beziehungsweise eines Kindes sowie Inhalte mit einem Bezug zum Nationalsozialismus in einem Werbespot zu verwenden, auch wenn es sich hier nur um einen "fiktiven" Werbespot handelt." lautet die Erklärung des Konzerns.
Dumm nur, dass der Clip zu den Nominierungen des Nachwuchs-Werbefilmpreises "First Step" des Jahres 2013 gehörte. Der wiederum wird von besagter Autoschmiede gesponsert. Das ist peinlich. Freilich ist es ausgesprochen zynisch, einen noch kleinen Jungen mit unheilvoller Zukunft vorsorglich per PKW umzufahren. Auch, wenn es eine Fiktion ist. Wochenlang spaltete der Werbeclip denn auch die Netzgemeinde. Die Kommentar-Skala reicht von "Geniales Stück" bis hin zu "Überhaupt nicht witzig".
Bis heute ist der Clip im Netz zu finden. Versehen mit dem Hinweis: "Unautorisierter Clip / Keine Verbindung zur Mercedes Benz AG". So schnell kann sich Moral in Ihr Gegenteil verwandeln. Ein Schelm, wer schlechtes dabei denkt.
(Claus Bach)
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