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Claus Bachs Bildarchiv: Der Kuss vor dem Rathaus
17. Januar 2024 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Paris, im Jahr 1950. Wie so oft durchstreifte der französische Fotograf Robert Doisneau seine Hauptstadt, um unbemerkt alltägliche Situationen aufzunehmen. Den Menschen vor Ort galt sein Hauptaugenmerk. In Cafés, Bars, Geschäften oder auf den Straßen muss er wohl zeitweise eine Art fotografierendes Faktotum gewesen sein. Als klassischer Vertreter der sogenannten „Street Photography". Meist arbeitete er für Agenturen und Verlage. Herausragend war dabei immer sein durchtriebener, ironischer Blick. Ohne die abgebildeten Personen der Lächerlichkeit preiszugeben oder zynisch vorzuführen. Genau das wurde sein Markenzeichen. Etwa dann, wenn er Passanten und Passantinnen beim Betrachten des Gemäldes einer nackten Dame im Schaufenster eines Geschäfts aus dem dunklen Inneren heraus fotografierte. Deren Blicke verrieten viel und sind bis heute noch zum Kichern. Im Frühjahr 1950 sollte Doisneau im Auftrag des amerikanischen Magazins „Life" ein Sinnbild für das schönste Klischee der „Stadt der Liebe" fotografieren. Ein küssendes junges Paar im öffentlichen Raum, ganz klassisch sozusagen. Doch das sollte sich außerordentlich schwierig gestalten. Denn damals waren selbst in Paris Küsse in der Öffentlichkeit nicht üblich. Also engagierte Doisneau ein junges Pärchen und inszenierte die Situation an verschiedenen Plätzen der Stadt. Und so kam es, dass der Schauspielschüler Jaques Cartaud die Schauspielschülerin Françoise Bornet im Frühjahr 1950 inmitten vorbeilaufender Menschen mehrmals innig küsste. Eine Schwarzweiss-Fotografie dieser Serie wirkte derartig echt und lebendig, dass sie damals schnell zum beabsichtigten fotografierten Sinnbild der französischen Hauptstadt wurde. Schnell wurde „Der Kuss des Hotels de Ville, Paris 4" zur visuellen Ikone und wurde als „Der Kuss vor dem Rathaus" Cover vieler Magazine. Um danach bald wieder in Vergessenheit zu geraten.
Doch Jahrzehnte später erlebte jenes Bild einen ungeahnten Hype. Weltweit zierte es seit 1986 zahlreiche Werbeposter und Postkarten für eben jene „Stadt der Liebe". Gern auch auf Duschvorhängen, Bettdecken, Kaffeetassen, Schneekugeln und so weiter. Was dem Foto mit zunehmender Nutzung einen ungeahnten materiellen Wert verlieh. Ein Paar zog vor Gericht, um als jenes fotografiertes Liebspärchen einen Teil der Einnahmen zur Abgeltung ihrer Persönlichkeitsrechte einzuklagen. Auch die tätsächlich abgebildete Dame Françoise Bornet klagte. Doch ebenfalls ohne Erfolg, weil auch sie auf dem Foto nicht eindeutig zu erkennen war. „Es war, als ob sie meine Erinnerungen gestohlen hätten – und es waren schöne Erinnerungen an die Jugend, angenehm und zärtlich", sagte sie später in einem Interview. Obwohl Fotograf Doisneau zu seinen Lebzeiten noch bestätigt hatte, das sie für jenes inszenierte Foto agiert hatte. Doch sie besaß noch einen Originalabzug dieses Fotos, den ihr der Fotograf zugeschickt hatte. Der brachte ihr bei einer Auktion in Paris im Jahr 2005 stolze 155.000 Euro ein. Im Jahr 2012 wurde jenes Foto für die Kampagne der Stadt zur Bewerbung für die Olympischen Spiele genutzt. „Liebe zu den Spielen" nannte die sich damals treffend.
Am Weihnachtstag des Jahres 2023 ist Françoise Bornet im Alter von 93 Jahren in der Nähe von Paris gestorben.
Wie „Der Kuss vor dem Rathaus" wird ihre Geschichte wohl für immer unvergesslich bleiben.
(Claus Bach)
Claus Bachs Bildarchiv: Der Kuss vor dem Rathaus
