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Claus Bachs Bildarchiv: In trockenen Tüchern
18. Oktober 2023 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
„Es war Zwiebelmarkt in Weimar. Endlich mal was los! Die einzigen Tage im Jahr, wo dieses verpennte Nest unweit des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald nach 18 Uhr lebendig wirkt...", Das schrieb der in Weimar aufgewachsene und heute in Berlin lebende Autor Frank Willmann zu Beginn seiner erfrischenden Polemik, welche in der Sport-Rubrik der Zeitung "Junge Welt" vom Oktober 2006 unter dem Titel "Aus den Unterklassen. Mit Gott und den Genossen" zu lesen war.
Und nach einem allgemeinen Verbalrundumschlag betreffs immerwährender Verhaltensgepflogenheiten von Besuchern und Eingeborenen während des Traditionsvolksfests schlägt er den Bogen vom "Weimarer Stadtlauf" zu früheren DDR-Zeiten. Im Speziellen die der sogenannten GST. Diese "Gesellschaft für Sport und Technik" war bekanntlich jene paramilitärische Jugendorganisation, bei der man für wenig Geld die Fahrerlaubnis für alle fast möglichen Kraftfahrzeuge erwerben konnte. Dafür allerdings wurde man im Gegenzug lebender Statist öffentlicher Großveranstaltungen jener Organisation. Und möglicherweise Anwärter späterer militärischer Laufbahnen.
Auch hatte es damals seine Schleuder mit dem Straßenfest für alle. Denn langhaarige Tramper und „auffällig dekadente Elemente" wurden zu DDR-Zeiten schon am Bahnhof oder an den Zufahrtstraßen der Stadt aussortiert und zurück geschickt. Sofern sie kein Übernachtungsquartier nachweisen konnten. Die Wiesenflächen wässerte die Feuerwehr, um sie unbenutzbar zu machen. Der Staat legte Wert auf ein positives Erscheinungsbild seines sozialistischen Volksfests.
Heute ist das freilich anders. Nach den mageren Jahren der Pandemie ist das Traditionsfest in der Kleinstadt wieder in trockenen Veranstaltungstüchern und hat sich zu alter Größe entwickelt.
Materielle Einkommensmöglichkeiten zum gegenseitigen Nutzen und Vergnügen für alle Beteiligten. Angefangen von den Heldrunger Zwiebelbauern bis hin zu explizit angereisten Händlern, Bands und folkloristischen Kleindarstellern. Livemusik auf erstmals neun Bühnen, fast rund um die Uhr. Für alle Altersklassen. Die Zwiebelmarktkönigin Laura trägt ein neues Kostüm. Das Riesenrad dreht sich auf dem Rollplatz. Die dreiteilige Blechkonstruktion eines Fleischereigeschäfts ermöglicht die synchrone Herstellung des Thüringer Bratguts. Bestehend aus einem Wurst- und zwei Brätelrosten. Das verkürzt die Wartezeiten. In jeder Beziehung zweckorientiert, größer und perfekter. Die öffentliche Toilette am Zeughof unterhalb des Theaterplatzes wurde rechtzeitig saniert. Mit Behinderten-WC und Pflegeliege. Wenn das nicht zeitgenössisch effektiv ist. Und es hat auch dieses Jahr wieder gut ausgesehen. So hat sich die 370igste Auflage des Ganzen erneut zur interaktiven Performance mit rund 250.000 Besuchern entwickelt. Tendenz steigend. Oder, anders ausgedrückt: Ein Volksfest in einer Kleinstadt ist ein Volksfest in einer Kleinstadt ist ein Volksfest in einer Kleinstadt.
(Claus Bach)
Claus Bachs Bildarchiv: In trockenen Tüchern