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Claus Bachs Bildarchiv: Junges Paar mit Kind
02. Juli 2025 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Dresden am 1. Juli 1990. Auf einem Schwarzweiß-Foto ist das Close-up einer jungen dreiköpfigen Familie zu sehen, die nagelneue Hundert-D-Mark-Scheine in ihren Händen hält. Wie bei einem Kartenspiel halten sie das soeben getauschte West-Papiergeld in die Kamera. Während der junge Mann strahlend dreinblickt, ist der Gesichtsausdruck seiner Frau der einer Zockerin. Ganze neun druckfrische Hunderter hält sie triumphierend in die Kamera. Ihre kleine Tochter haben sie auch dabei und zwischen ihre Köpfe in die Kamera gehalten. Die wirkt übermüdet und weiß offensichtlich nicht so recht, wie ihr geschieht. Im Hintergrund des Fotos kann man deutlich die Mensch gewordene Warteschlange vor einer Zweigstelle der auszahlenden Sparkasse erkennen.
Solche Szenen spielten sich vor mittlerweile fünfunddreißig Jahren in allen Städten und Gemeinden der DDR ab. Vielerorts hatten sich manche Bürger und Bürgerinnen schon nachts vor den Schaltern der zuständigen Geldinstitute angestellt. Um als Allererste das neue Geld in Empfang nehmen zu dürfen. In stiller Erwartung des Wohlstands-Fetischs. Bisher kannte man sowas nur vom Massengedränge der Fans an den Einlasskojen vor Beginn eines Rockkonzertes. Bekanntermaßen kam es vereinzelt zu Schwächeanfällen einiger Wartender. Ansonsten verlief die Sache reibungslos.
Die Wirtschafts-, Währungs - und Sozialunion war vollzogen. Bis zu 4000 Ostmark wurden eins zu eins gegen Westkohle getauscht, alles darüber eins zu zwei. Das war der ausgehandelte Bankendeal. Über Nacht wurde die D-Mark zum Maß aller Dinge. Das merkten dann auch alle DDRler spätestens beim nächsten Lebensmittel-Einkauf. Nichts mehr mit 78 Pfennigen für ein subventioniertes Dreipfundbrot und 5 Pfennigen für die Schrippe und so weiter.
„So haben wir uns das aber nicht vorgestellt!" kommentierte damals überrascht eine Frau in Leipzig beim Anblick der neuen Preise an den meist westlichen Nahrungsmittel-Produkten. Denn auch über Nacht waren fast alle ostdeutschen Waren aus den Regalen verschwunden. Oder wurden zu minimalistischen Schleuderpreisen verramscht. Monate später war dann für sehr sehr viele erwerbstätige Ostdeutsche Bürger*innen meist auch noch der Job weg. Weil ihr Betrieb weder konkurrenz- noch wettbewerbsfähig und folgerichtig zahlungsunfähig war.
Ein Radio-Moderator des Hessischen Rundfunks brachte die Sache bereits einige Monate vor jener Währungsunion sarkastisch auf den Punkt: „Vor der Übernahme ist die DDR besenrein zu übergeben."
Genau das nahm ab jenem Sommer 1990 flächendeckend Gestalt an. Etappenweise wurde die DDR-Wirtschaft zünftig filetiert. Die Verheißung blühender Landschaften transformierte Ostdeutschland zur verlängerten Werkbank westdeutscher Konzerne und und zum Billig-Absatzmarkt. Der Kapitalismus, der alte Schlawiner hatte sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Die Mehrheit hatte es nicht anders gewollt. Und so kam es, dass zur nächtlich-sommerlichen Gartenparty reihenweise fünf Ostmarkscheine abgefackelt wurden.
Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv: Junges Paar mit Kind