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Claus Bachs Bildarchiv: Lieber vom Leben gezeichnet
30. Oktober 2025 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt! Das war eine immerwährende ostdeutsche Spruchweisheit, die sich auf die Bilder des DDR-Malers Willi Sitte in all seinen Formen und Auswüchsen hinzog. Fast wie von der Stange fertigte der Künstler Einzel, Doppel- und Gruppenporträts der werktätigen Bevölkerung im Alltagsleben der DDR an: Lesende Arbeiter, schachspielende Bauleiter, kopulierende junge Pärchen am Arbeitsplatz und so weiter. Wie kein anderer wurde er seit den frühen 1960iger Jahren zu dem Protagonisten des sozialistischen Realismus. Sein naturalistischer, bisweilen expressiv-figürlicher Stil galt den staatlichen Kulturfunktionären als wegweisend für die Gegenwarts- und Zukunftskunst des ersten Deutschen Arbeiter- und Bauernstaats. Mit anderen Worten: Eine perfekt kompatible Verdinglichung des neuen Menschen im Zeitalter der ersten deutschen sozialistischen Gesellschaftsordnung. In der Regel zeigten seine handwerklich perfekt gemalten Bilder endlos dasselbe und erzeugten durch jene andauernde Penetrierung der DDR-Alltagswelt schnell eine Art Überdruss. Sittes Bilder waren in allen Schulbüchern für Kunst und Literatur unübersehbar auszumachen. Selbstverständlich auch in sogenannten Gesellschaftsbauten wie dem „Palast der Republik" und anderen Kulturhäusern des Landes.
So wurden sie zur visuellen PR-Blaupause des Staates. Dabei hatte der junge Künstler völlig anders begonnen. Sein Frühwerk der 1940iger Jahre war geprägt von Kollegen wie Picasso, Fredinand Legér oder Renato Guttuso. Doch damit war in den späten 1950iger Jahren Schluss. Auf Druck der Kulturfunktionäre änderte der mittlerweile sozialistische Kunstprofessor seinen Stil und schuf danach seine berühmt-berüchtigten Malwerke.
Auch seine metaphorisch überfrachteten Historien-Allegorien wurden zu Selbstläufern seiner Künstlerkarriere. Und so kam es, dass Willi Sitte zum ausgesprochenen Staatskünstler und Kulturpolitiker mutierte. Letztere Funktion missbrauchte er gern zur beruflichen Verdrängung anders arbeitender Zeitgenossen. In dem Ihnen die Mitgliedschaft im „Verband Bildender Künstler" verweigert wurde. Was in der DDR einem Berufsverbot gleichkam. Vor allem Installations- und Konzeptkünstler waren seine erklärten Hauptfeinde. Bis zu seinem Tod im Jahre 2013 blieb er stur bei seinen künstlerischen und vor allem politischen Positionen. Trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen blieb er Gefangener seiner Karriere und wirkte letztlich wie ein merkwürdig aus der Zeit Gefallener.
Bis zum 26. Oktober 2025 waren auch einige seiner Werke Bestandteil der umfangreichen Gruppenausstellung „Sonnensucher. Kunst und Bergbau der Wismut" in den Räumen der Baumwollspinnerei Zwickau. Die endete nun erfolgreich mit einem Rekord von über 15000 Besuchern. Für viele von ihnen war das vor allem eine Rückbesinnung und Vergewisserung der eigenen Arbeits- und Lebensbiografie.
Die medialen Reaktionen auf Sittes Malerei polarisierten schon immer. Sie bewegten sich zwischen Ablehnung, Spott und Verehrung.
In Weimar war die letzte Willi Sitte-Retrospektive im Jahr 1988 in der Kunsthalle am Theaterplatz zu sehen. Dem heutigen „Haus der Demokratie". Ein Gästebuch-Eintrag jener Ausstellung lautet wie folgt: „Es gibt Honig- und Kunsthonig. Willi Sitte gehört zu den Kunsthonig-Fabrikanten." Dem ist auch bis heute nichts hinzuzufügen.
Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv: Lieber vom Leben gezeichnet
