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Claus Bachs Bildarchiv: Seid realistisch. Fordert das Unmögliche.

13. Mai 2022 / Radio, Stadtzeit,Mediathek

Nach gut zwei Jahren der Sanierung wurde am 4. Mai die Mensa am Park wieder eröffnet. Und damit ist sie auf die Jahreszeit fast 40 Jahre alt und trotzte allen gesellschaftlichen Veränderungen. Damals war das ein Projekt der Architektur-Professorin Anita Bach und auch zu DDR-Zeiten nicht unumstritten. Ragte doch ein Teil des Gebäudes in den historischen Ilmpark. Was im schon im Vorfeld des Bauvorhabens heftige Kontroversen auslöste. Doch sowohl die lokale als auch die internationale Kritik reagierte ungewöhnlich einhellig positiv auf den fertigen Bau. Selbst die Presse des westdeutschen Klassenfeinds attestierte dem Projekt eine gelungene Verbindung von Architektur und Parklandschaft. Das spüre man vor allem, wenn man im kleinen Speisesaal der ersten Etage sitzt und durch die großen Fenster in den Park blickt. Fast hat man das Gefühl darin zu schweben. Im Jahr 1983 wurde dem Bau der Architekturpreis des Bezirks Erfurt verliehen. Etwas ernüchtert waren allerdings von Beginn an die Benutzer. Denn wenn sie über das ungewöhnlich niedrige Foyer in die erste Etage gelangten, wurden sie von einer Armada runder transparenter Deckenleuchten empfangen. Die erinnerten freilich sofort an den Lampenladen des Berliner Palasts der Republik und stammten in der Tat aus dessen Bestand. Das galt schon damals als nicht besonders energiesparend oder nachhaltig. Deshalb wurde nach der Sanierung nur noch ein Teil jener Leuchten erhalten und durch eigens geschaffene Oberlichter im Dach ergänzt. Anders verhielt es sich mit dem Gestühl der Pausenversorgung im Erdgeschoss. Das wurde explizit für den Raum vom Weimarer Formgestalter Helmut Hengst entworfen und fiel durch seinen minimalistischen und vor allem praktischen Charakter auf. Doch wie von Geisterhand verschwand es gleich nach der Wende.

Freilich war jene Mensa auch ein typischer Vorzeige-Bau Weimars und stand exemplarisch für den krassen Widerspruch im Städtebau der DDR. Denn einige hundert Meter weiter verrotteten Teile des Altstadtkerns infolge chronischen Mangels an Geldmitteln und Material. So war jene Mensa auch Teil eines lokalen Skandals im Oktober 1983: In einer klassischen Nacht- und Nebelaktion hatten einige Jugendliche den Spruch „Seid realistisch. Fordert das Unmögliche" an die parkseitige Fassade des neuen Gebäudes gesprüht. Kurz danach wurden alle erwischt und mit ungewöhnlich harten Strafen belegt. Wegen Rowdytum, staatsfeindlicher Propaganda, Herabwürdigung des Arbeiter- und Bauernstaates und so weiter. Die DDR-Justiz kannte keine Gnade und verdonnerte die vier 17-jährigen gleichmal systemrelevant zu mehrmonatigen Haftstrafen. Und so kam es auch, dass im Herbst 1983 sämtliche Reparaturlack-Sprays aus dem Angebot lokaler Farbgeschäfte Weimars verschwanden. Seit einigen Jahren steht die Mensa am Park unter Denkmalsschutz. Eigentlich sollte jener Spruch auch restauriert sprich wieder aufgesprüht werden. Als Teil denkmalgeschützter Zeitgeschichte.

(Claus Bach)

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Autor: nbv