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Claus Bachs Bildarchiv: Vom anderen Stern. Ein Brasilianer in der Hauptstadt.

05. Februar 2020 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

 Im Jahr 1984 wurde ein junger Mann als Kulturattaché des Landes Brasilien nach Ostberlin entsandt. Aus einfachen ländlichen Verhältnissen stammend, hatte er soeben die erste und wichtigste Stufe seiner Karriere als Diplomat erklommen. Sein Name: Chagas Freitas.
Fortan pendelten er und seine Familie zwischen den Ost- und Westwelten der 1980iger Jahre. Ab sofort war er nun auch mit dem Erscheinungsbild des DDR-Hauptstadtzentrums konfrontiert. Als da wären moderne Hochhäuser mit farbiger Propagandakunst an ihren Fassaden. Bunte Kachelbilder zeigten visionär dreinblickende Menschen in futuristischen Landschaften. Selbstverständlich bei Hege und Pflege des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates und so weiter. All das kam dem jungen Brasilianer nicht nur fremd, sondern auch ziemlich putzig vor. Eigenartig künstlich und irgendwie bemüht sah das für ihn aus. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte er sich für Kunst noch nie interessiert. Nun war es anders: Er streifte durch die Galerien des damaligen staatlichen Kunsthandels und stieß dort auf ganz andere Bilder: Abstrakte, grell farbige kleinformatige Arbeiten. Die berührten ihn außerordentlich. Und so kaufte Chagas Freitas sein erstes Kunstwerk. Eine Arbeit des Dresdner Malers Max Uhlig. Sein monatliches Salär von 4000 Dollar ließ es möglich werden. Das war erst der Anfang. Denn was danach passierte, war die Verdinglichung des personellen Dominoeffekts. Der Kunstkäufer Chagas tauchte in die Netzwerke von Galeristen und deren Künstlern der Nonkonformen DDR-Kunstszene ein. Abseits des staatlich gelenkten Kunstbetriebs entwickelte er sich zum leidenschaftlichen Sammler nichtfigürlicher Malerei, Grafik und Kleinplastik. Pendelte nun wöchentlich zwischen Ostberlin und Dresden, feierte mit seinen Künstlern und Künstlerinnen. Scheute sich auch nicht, in die Provinz nach Gera zu fahren und die Malerin Gerda Lepke zu fördern. So wurde Chagas Freitas zum exotischen Mäzen vieler Künstler, die ohne Öffentlichkeit am Existenzminimum lebten. Bis zum Jahr 1989 war seine Sammlung auf über tausend Kunstwerke angewachsen. Nach dem Fall der Berliner Mauer endete auch Chagas' Zeit in der DDR. Er und seine Familie kehrten zurück ins Heimatland. Zusammen mit jener Sammlung, deren wirkliche Größe er selbst nicht mal genau kennt. Und die gerät, wie so oft, in Vergessenheit.

30 Jahre später ist sie Kunstgeschichte und wird neu entdeckt und ausgestellt. Zuerst in der Hauptstadt Brasiliens. Als ein vergessener Schatz. All das erzählt der gleichnamige Dokumentarfilm des Regisseurs Tom Ehrhardt. Aus großer räumlicher und zeitlicher Distanz kommt der Regisseur dabei aber nicht nur der Person Freitas nah. Mehr noch. Denn bisweilen blitzen neben sentimental verklärenden Rückbesinnungen der Akteure auch erfrischend ironische Momente auf. Oder anders ausgedrückt: Und täglich grüßt das DDR - Murmeltier. Im speziellen immer dann, wenn Ehrhardt den brasilianischen Sammler auf seinen heutigen Reisen in die Ostdeutsche Kunstszene begleitet.

Der Film »Der vergessene Schatz« ist seit dem 19. Januar 2020 in der Mediathek des MDR zu sehen. Am 19. und 20. Februar wird er im Kunsthaus Erfurt aufgeführt.
Weitere Veranstaltungen finden in Mühlhausen (16.02., 16:30 Theaterwerkstatt 3K), Nordhausen (18.02., 20:00 Filmpalast) und Jena (22.02., 15:30 Kino im Schillerhof) statt.

(Claus Bach)

 
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Autor: nbv