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Claus Bachs Bildarchiv: Vom Bonzenkind zum Dichter

25. November 2021 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

Als Bonzenkinder wurden in der DDR jene privilegierten Söhne und Töchter bezeichnet, deren Eltern die obersten Positionen der SED-Parteihierarchie bekleideten. Einer davon war Thomas Brasch, erster Sprössling des stellvertretenden Kulturministers der DDR namens Horst Brasch. Letzterer war früherer Kampfgefährte des späteren Staatratsvorsitzenden Erich Honecker. Und als hart entschlossener Kämpfer gegen den mörderischen westdeutschen Imperialismus schickte Vater Brasch seinen Sohn nach Naumburg in die einzige Kadettenschule der Nationalen Volksarmee.

Selbstverständlich hatte der Sohn die Tradition des antifaschistischen Kampfes fortzusetzen. Vier Jahre lang war der zehnjährige Thomas preußischem Drill und Mobbing in einer Kaserne der ausgehenden 1950iger Jahre ausgesetzt. So beginnt das Biopic "Lieber Thomas" über den früh verstorbenen Dichter und Filmemacher Thomas Brasch. Der Film ist durchweg in minimalistischem schwarzweiß gehalten und erzählt sein Leben in bisweilen drastischen und surreal-verstörenden Szenen. Etwa dann, wenn man einen kleinen Kameraden-Kadettenschüler aus Verzweiflung Glasscherben einer zerborstenen Neonröhre kauen sieht. Oder Jahre später, als der Vater den eigenen Sohn nach einer Flugblatt-Aktion an die Staatssicherheit verpfeift. So war es nur folgerichtig, dass der Sohn zum Antipoden des Vaters wurde und gleichmal dessen Parteikarriere beendete. Da halfen auch die besten Partei-Connections nicht mehr.

In mehr als eindringlichen und poetischen Bildern zeigt der überlange zweieinhalbstündige Film die Entwicklungsstationen eines Autoren, der seit frühester Jugend von einer fast unerträglichen Zerrissenheit getrieben wurde.

Dabei spannt sich der Handlungsbogen von Braschs Künstlerkarriere vom durchschlagenden Erfolg seines ersten Romans in der BRD des Jahres 1977 über seine Gedichte bis hin zu seinen Filmen und der schließlich aktiv betriebenen, suchtmittelgestützten Selbstzerstörung zum Ende des 20. Jahrhunderts. Infolge Verlusts seines hassgeliebten DDR-Heimatlands.

Nun mag es durchaus sein, dass "Lieber Thomas" phasenweise angegilbt bis pathetisch erscheint und mittlerweile auch die übliche Fangemeinde der sogenannten "Braschisten" im medialen Schlepptau hat. Deren verortetes Epizentrum unschwer zwischen "Berliner Ensemble" und Kino "Babylon" in Berlin auszumachen ist.

Aber: Es gab keinen, aber auch keinen Autoren, der vor allem in seinen verknappten Gedichten derart sprachgewaltig und zeitlos unsere Existenz zur Disposition gestellt hat. Genau das wird von ihm bleiben.

"Lieber Thomas" läuft momentan im Lichhauskino Weimar und ist in sieben Kapitel unterteilt, welche nach den sieben Zeilen seines wohl bekanntesten Gedichts benannt sind:

THOMAS BRASCH - Was ich habe, will ich nicht verlieren

Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin

aus: Thomas Brasch: Kargo. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1977

(Claus Bach)

 

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Autor: nbv