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Claus Bachs Bildarchiv: Vom Geist des Ortes

25. September 2019 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
»Die neue Zeit« - Aufbruch nicht nur in der Kunst - Dörte Helm (Anna Maria Mühe, M.) protestiert gegen die Konservativen, Bildquelle: ZDF Julia Terjung
»Die neue Zeit« - Aufbruch nicht nur in der Kunst - Dörte Helm (Anna Maria Mühe, M.) protestiert gegen die Konservativen, Bildquelle: ZDF Julia Terjung

Wer sich im September 2018 zufällig in der Nähe des Marstalls in Weimar aufhielt, glaubte sich in eine Zeitkapsel versetzt. Etliche schwarz gekleidete Männer und Frauen im Stil der frühen 1920iger Jahre verharrten vor dem Gebäude. Das war kein vermenschlichter Kostümfundus, sondern eine Drehpause für die sechsteilige TV-Serie "Die Neue Zeit". Ein Jahr später wurde jene Serie nun im Kultursender "arte" und im "ZDF" ausgestrahlt.
An teilweise Originalschauplätzen erzählt sie ausschließlich über die Weimarer Jahre des Staatlichen Bauhauses.
Roter Handlungsfaden ist ein fiktives Interview aus den frühen 1960iger Jahren mit dem ehemaligen Gründer und Direktor der Designschule, Walter Gropius, geführt von der feministischen Journalistin Stine Branderup. Anhand seiner vermeintlichen damaligen Liason mit der Studentin Dörte Helm wurde die Bauhaus-Historie durchgenommen.

Und was soll man weiter dazu sagen: Alles hat rundum gekappt.
Anders als die Liebes-Schmonzette "Lotte am Bauhaus" der ARD vom Frühjahr 2019 gerät hier jeder einzelne Teil der Serie zu einem außerordentlich spannenden und zugleich aufklärendem Mosaik aus den vielschichtigen Konflikten jener Zeit. Überzeugendst getragen von den Hauptdarstellern August Diehl als Walter Gropius und Anna Maria Mühe als Dörte Helm. Jeder Moment schafft es, diese Zeit ungemein lebendig zu machen. Angefangen beim verstörenden Agieren eines Johannes Itten in seinem berühmt berüchtigten Vorkurs bis hin zum Dauerstress mit der erzkonservativen Weimarer Bürgerschaft. Selbst das dramaturgisch etwas angegilbte Mittel der Rückblende funktioniert überzeugend, weil es aussagekräftig die Befindlichkeiten eines Walter Gropius vermittelt. Auch in seinen letzten Lebensjahren wirkt er noch hin- und hergerissen von sich selbst.

Zu keinem Zeitpunkt läuft die Mixtur aus athmosphärisch dichtem Spielfilm, nachgestellten Schmalfilm-Dokumentarszenen und schwarzweiß eingeblenden Filmstills aus dem Ruder. Mehr noch: In ihrer Gesamtheit fügen sich zu einem spannenden visuellen Ensemble, welches die Handlung ständig vorantreibt und in keiner Sekunde die Langeweile eines Historienschinkens aufkommen lässt. Und was das beste ist: Es gibt wirklich keinen, aber auch keinen Widerspruch, der nicht offen gelegt wurde. Angefangen vom dissenden Umgang einiger Bauhaus-Meister und ihres Direktors mit ihren Studentinnen bis hin zu deren politisch-unpolitischen Agieren. Einer der berührendsten Momente am Ende des fünften Teils der Serie ist wohl jener, in welchem Dörte Helm ihr eigenes wunderbares Deckenbild im Stadttheater Jena monochrom übermalen muss. Da weint man mit ihr, zum Steinerweichen.

So vermag es eine vermeintliche Historienserie, uns ein zeitloses Ensemble des fast gesamten Spektrums menschlicher Charaktere zu vermitteln. Angefangen von ungemein starken Frauen und Männern, extremen Individualisten, Fanatikern, reaktionären Feiglingen, Intriganten und Mitläufern. Gebündelt in dem kleinen Nest an der Ilm im frühen 20. Jahrhundert. Das ist doch mal was.

 

(Claus Bach)

 
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Autor: nbv