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Claus Bachs Bildarchiv: Wir bleiben hier

20. November 2024 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Titel: „Das Dichterdenkmal während der Kundgebung am 19. November 1989“, Foto: Claus Bach
Titel: „Das Dichterdenkmal während der Kundgebung am 19. November 1989“, Foto: Claus Bach

Genau gestern vor 35 Jahren trug das Dichterdenkmal der Klassikerstadt ein handgeschriebenes Pappschild an seinem gemeinsamen Lorbeerkranz. „WIR BLEIBEN HIER" war darauf in großen schwarzen Lettern zu lesen. Geschrieben hatte es Christine Schild, die damalige Pressedramaturgin des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Von dessen Intendanz und Ensemble war die Initiative für jenes Ereignis ausgegangen. Am 19. November 1989 begann um 12 Uhr die größte Kundgebung in Weimar während der friedlichen Revolution in der DDR. Und das spontan drapierte Schild am Dichterdenkmal war die trotzige Parole jener Veranstaltung und geriet gleichzeitig zum Symbol all jener Kräfte, die im Lande geblieben waren und die vergreiste Diktatur für eine zukünftige demokratische und offene Gesellschaft beseitigen wollten. Davon zeugten auch zahlreiche Parolen auf Transparenten, die an der Front des DNT während der Veranstaltung aufgezogen wurden. Nachfolgend einige Beispiele: „Die Revolution kann nicht als Diktatur ans Ziel kommen" oder „OB Wahlfälscher und Umweltvergifter" waren einige von vielen. Und der französische Klassiker „Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit" zierte flächendeckend das berühmte Balkongeländer des Hauses. Nach einem Auftritt der Weimarer Rockband „Partisan" sprachen Redner aus verschiedenen sozialen Schichten und Berufen. Vom Fleischermeister Heinz Schmigalle bis zum Journalisten Bodo Baake und dem Schriftsteller Wulf Kirsten. Die Inhalte ihrer Reden zielten alle auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen in Stadt und Land ab.

Ein Blick vom Balkon des DNT zeigt den Theaterplatz, der komplett mit Menschen aller Altersgruppen gefüllt war und das berühmte Dichterdenkmal symbolträchtig umrankte.

Ein Fotograf hatte extra eine Hebebühne für Luftaufnahmen geordert. Gegen einen nicht unbescheidenen Aufpreis konnten die sogar Kollegen*innen nutzen. A propos Fotografen. Offensichtlich war die komplette Medienszene der Bundesrepublik vor Ort. Was heute unter dem Begriff „Leitmedien" verstanden wird. Rückblickend war jenes Ereignis das bedeutendste und größte in der jüngeren Geschichte der Klassikerstadt. Und gern wird es bis heute von Polittrollen für alle möglichen verschwörungstheoretischen Zwecke genutzt. Die immer als propagandistische Rohrkrepierer endeten. Denn jene Kundgebung will sich nicht wirklich für irgendetwas anderes einspannen, als das, was sie gewesen ist. Sie ist und bleibt historisch robust und schlicht unmanipulierbar. Auch nach 35 Jahren wirken deren Fotografien ungemein lebendig und sind zu Ikonen jener bewegten Zeit geworden, die längst über die lokale Historie hinaus weisen.

Claus Bach

 

 

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Autor: nbv