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Neulich im Netzwerk: Sozialkompetenz Fehlanzeige
13. Dezember 2016 / Radio, StadtzeitGestern in einer Grundschule in Weimar: Zwei Kinder streiten sich, das Kleinere weint. „Der hat mich gehauen". Der Grund: „Der hat mein Eigentum angefasst". Es stellt sich heraus, dass bei einem Spielzeugauto der Spoiler abgefallen ist durch diese unrechtmäßige Benutzung. Nun ist so ein Spoiler natürlich wichtig. Aber deswegen gleich hauen? Die Frage, wer Kleinere schlägt, konnte der Autobesitzer klar beantworten: „Feiglinge".
Nur, wenn es um sein Auto geht, sieht das Ganze eben anders aus.
Gleiche Grundschule, anderes Thema: die Kinder können jeden Tag Adventskalender öffnen. Die Eltern haben das so gemacht, dass es für jeden Tag ein Paket gibt, wo für jedes Kind eine Kleinigkeit drin ist. Sie packen aus, freuen sich und lassen das Papier einfach auf die Erde fallen. Auf den Hinweis, dass das aufgehoben werden soll, antwortet ein Kind: „Ist doch egal." Und ist wirklich davon überzeugt, dass das stimmt. Mittags kommt ja die Putzfrau.
Gleiche Grundschule, wieder anderes Thema. Man kann ja zu Hausaufgaben stehen, wie man will. Ich finde sie in der Grundschule nicht sinnvoll. Aber es gibt sie halt. Und wenn sie nicht eingetragen werden, kann man sie nicht machen. Wenn die Schulsachen nicht komplett sind, kann man nicht arbeiten.
Klar, jeder vergisst mal etwas. Aber in dieser dritten Klasse ist es vielen Kindern einfach egal. Wo ist der Spaß am Lernen? Wo ist die Freude daran, etwas zu verstehen, das bis eben noch unerklärlich war?
Es gibt Kinder, die weinen wegen einer 3. Sie ärgern sich nicht, dass sie nicht wussten, wie Regen entsteht, sie ärgern sich statt dessen, dass das im Test drankam.
Klar, das kennt jeder, der mal in der Schule war. Aber in der dritten Klasse?
Die Eltern sind durchaus engagiert an dieser Schule. Sie sorgen sich, dass ihre Kinder zu schlecht rechnen, lesen, schreiben. Aber die Kinder sind natürlich nicht schuld. Sondern die Lehrer. Die Schule, die Politik.
Natürlich gibt es in Thüringen zu wenig Lehrer. Natürlich braucht es dringend eine Bildungsreform. Natürlich muss das Thema Bildung grundsätzlich neu gedacht werden.
Im Netz gibt es nahezu täglich interessante Gedanken dazu, gute Artikel. Es gibt nur keine Politiker, die mutig genug sind, das Thema mal anzugehen. Da wird immer nur geflickt, ausgebessert und beschwichtigt.
In der letzten Pisa-Studie hat Deutschland sich verschlechtert. Wenn man Facebook-Posts verfolgt, gibt es kaum welche ohne Rechtschreib-Fehler. Manche Texte sind so falsch geschrieben, dass man sie nicht entschlüsseln kann.
Und das Schlimmste: die Inhalte. Der Ton. Der Umgang mit anderen Meinungen.
Da wird gehetzt, gewütet, beleidigt.
Und immer wieder taucht in diesen Posts der Vorwurf auf, dass den anderen die Bildung fehlt. Dass sie ganz anders schreiben und denken würden, wenn sie mal ein Buch läsen.
Gern wird auch gegen die „Lügenpresse" gewettert. Aber wer liest denn heute noch Zeitungen? Oder Hintergrundberichte? Ein Großteil der Menschen bezieht ihr Wissen aus dem Netz. Aus mehr oder weniger seriösen Quellen. Hauptsache kurz. Hauptsache schnell. Am besten als Video. Konsumiert sich leichter.
Die Aufmerksamkeitsspanne reicht nicht einmal für die Tagesschau. Da schaut man sich lieber einzelne Beiträge in der Mediathek an.
Das Bildungsbürgertum ist entsetzt, schüttelt den Kopf über die Dummheit, die fehlende Bildung von Pegida und Co. Ist fassungslos über den Umgang mit Fremden. Über die irrationale Angst und den Hass und die Wut.
Natürlich gab es schon immer Menschen mit mehr Bildung und Menschen mit weniger Bildung. Doch sie waren nicht so ignorant und passiv wie heute.
Bildungsforscher glauben, dass es jungen Menschen zunehmend schwer fällt, größere Zusammenhänge zu verstehen. Weil sie einfach weniger lesen. Und auf die falsche Art lernen.
Wie viel dümmer die Deutschen tatsächlich geworden sind, lässt sich also schwer sagen. Klar ist: Die Dummen waren noch nie so laut wie heute.
Diese Menschen sind blind für die Not anderer. Sie sehen nur sich selbst. Sie verstehen nicht, was Menschlichkeit ist. Sie stehen mit dem Kopf zur Wand und sehen nur Tapete. Nicht umsonst ist „postfaktisch" zum Wort des Jahres gekürt worden: Es geht heute in Diskussionen mehr um Emotionen als um Fakten. Man bleibt bei seiner Meinung, egal, wie sachlich man widerlegt wird.
Und da bin ich wieder in der Grundschule. Sind das nicht die Anfänge? Zensuren sind wichtiger als Inhalte. Ich respektiere Regeln nur, solange sie mir in den Kram passen? Irgendwer wird mir schon meinen Dreck hinterher räumen, und wenn nicht, ist doch auch egal? Schwächere schlägt man nicht. Aber wehe, sie fassen mein Eigentum an? Und wenn es doch Stress gibt, setze ich den Welpenblick auf und meine Eltern beschweren sich in der Schule?
Ich hab mal das Sprichwort gehört, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Dieses Dorf haben wir heute nicht mehr. Und das Schlimmste: es scheint keinen zu kümmern.
(grit)
