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Claus Bachs Bildarchiv: Alles eine Frage der Entschleunigung

25. März 2020 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

Bekanntlich erblickt man in den letzten Tagen überall Fotografien nahezu meschenleerer öffentlicher Räume von Weltmetropolen, Kleinstädten und Dörfern. Freilich macht auch Weimar dabei keine Ausnahme. So zeigt die Livecam den Frauenplan, einen der zentralen Plätze der Thüringer Klassikerstadt. In einem Winkel von etwa 160 Grad erfasst die Webcam das kleine Zentrum. Installiert ist sie unter dem Dach der „Pension am Frauenplan". In Endlosschleife schwenkt sie von der Brauhausgasse bis zum Wohnhaus des Dichterfürsten. So lässt sich in Echtzeit das Alltagsgeschehen vor Ort betrachten. Im Speziellen heute, gegen 09.00 Uhr: Vereinzelte Fußgänger und ein Fahrradfahrer bewegen sich in großen Abständen über das Areal. Ein Mann führt seinen Hund aus. Zwei Streifenwagen der Polizei fahren langsam über den Platz. Die ansässigen Geschäfte sind geschlossen, ihr Gestühl davor leer. Zwei kleine weiße Lieferwagen und ein großer, ebenfalls weißer Lastkraftwagen stehen am Rand des Platzes. Wie jeden Tag verrichten die Männer der Müllabfuhr ihr Alltagsgeschäft. Im Hintergrund fährt der Linienbus über den Wielandplatz. Mit anderen Worten: Es passiert nichts. Mit Ausnahme einiger Tauben, die den Blick der Webcam kreuzen.

Dabei hat die Livecam am Frauenplan lediglich jene Geschwindigkeit verinnerlicht, die schon immer dem berüchtigten Rhytmus der Stadt entspricht. Langsamkeit und mutwillige Entschleunigung. Die einen genießen es, die anderen hassen es. So erzählt die Apparatur ungewollt mehr als beabsichtigt. Die Endlos - Bilderschleife hat das Zeug zur visuellen Homöopathie. Ein wunderbares Beruhigungsmedium für gestresste Zeitgenossen.
Hier hätte sogar der Fußballkommentator Harry Hunke seine Probleme, das Geschehen zu kommentieren. Seit kurzem beschreibt er den Alltagsbetrieb auf der Neusser Straße in seiner Heimatstadt Köln wie ein dramatisches Fußballspiel. Als quasi Ersatz für ein reales. Passanten und Fahrzeuge agieren nun wie ein Spielerensemble. Dabei gerät selbst die Überquerung einer Straßenkreuzung durch einen Fahrradfahrer zum riskanten Solo-Offensivangriff. Damit ist ihm ein skuriler viraler Hit gelungen. Seit Tagen folgen viele Kollegen seinem Beispiel. Und es ist in der Tat sehr erfrischend, wie Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, zusammen gebracht werden. Neue Situationen schaffen neue Ideen. Bleiben wir also gespannt und neugierig.

(Claus Bach)

 

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Autor: nbv