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Claus Bachs Bildarchiv: Der Stadtchronist

10. November 2021 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

Am 9. November 2018 tauchte in den sozialen Netzwerken eine Fotostrecke der besonderen zeitgeschichtlichen Art auf. Sie zeigt Szenen während der Reichspogromnacht vor 80 Jahren. Im ersten Moment nichts wirklich Neues. Kannte man doch die Aufnahmen brennender Synagogen und jüdischer Geschäfte, die sich ins historische kollektive Gedächtnis unserer Bildergesellschaft eingebrannt haben.

Nun allerdings sind Dokumentarfotografien aus den Privaträumen einer jüdischen Familie zum Zeitpunkt jener „Kristallnacht“ aufgetaucht, welche die gewaltsame Evakuierung einer jüdischen Familie aus ihren Wohnräumen unmittelbar und minutiös dokumentieren. Auf knapp zehn Schwarzweiß–Aufnahmen ist die Zerstörung Ihrer Wohnung in der bayerischen Stadt Fürth zu sehen: Die Inneneinrichtung wurde komplett von den SA-Männern verwüstet, Bücher aus Regalen und Schränken gezerrt. Ein großes Sofa wurde aufgeschlitzt und sämtliches Mobiliar zertrümmert. Stapel von großen, in Leder gebundenen Büchern werden von etwa zehn Männern geschäftig aus der Wohnung getragen. In der Art normaler Alltagsbeschäftigung. Aber auch einige Angehörige der Familie wurden aufgenommen. Offensichtlich hatte man sie aus ihren Betten gezerrt und exemplarisch für die Fotos zur Schau gestellt. Im Nachtbekleidung, mit schief aufgesetztem Hut ausstaffiert und so weiter. Ein paar Aufnahmen später sind noch andere verprügelte jüdische Familien zu sehen, die sich offenbar schon in Arresträumen befinden. Teilweise ebenfalls noch in Schlafanzug und Bademantel.

Eigentlich dachte man ja, vieles zu kennen und sich den Rest dann schon irgendwie vorstellen zu können. Aber in einer derartig realistischen Darstellung vermittelt sich das schockierende Gefühl unmittelbarer Augenblicklichkeit. Dabei existieren jene Aufnahmen nur in abstrahierendem schwarz-weiß. Doch die außerordentlich routinierte Brutalität jener Momente wirkt verstörend nah. Und genau das ist das Besondere. Jene Fotografien stammen größtenteils vom damaligen Stadtchronisten Fürths, Fritz Wolkenstörfer. Fürth Wikipedia vermerkt dazu nüchtern: Fritz Wolkenstörfer (geb. 1903, gest. 1978) war von Beruf Fotograf und ein bekannter Stadtchronist... Er fotografierte unter anderem die einzig heute noch erhalten gebliebenen und bekannten Bilder des Synagogenbrands in Führt zur Reichspogromnacht am 09. November 1938.

(Claus Bach)

 

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Autor: nbv