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Claus Bachs Bildarchiv: Frau mit Messer

10. Januar 2023 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Austellungsfoto »An den Rändern taumelt das Glück«, Quelle: Claus Bach
Austellungsfoto »An den Rändern taumelt das Glück«, Quelle: Claus Bach

Im gedämpften Tageslicht steht eine junge schlanke Frau schulterwärts an der geschlossenen Rollladenfront einer maroden Hausfassade. Die Frau hat ihre langen dunkelbraunen Haare zusammen gebunden, trägt eine graue Steppjacke, dunkelbraune Kniebundhosen und schwarze Schnürstiefeletten. Mit ihrem rechten angewinkelten Unterarm hält sie den Rolladen des Eingangs in Hüfthöhe offen. Dabei wird ein Blick ins Dunkel des verlassenen Ladengeschäfts freigegeben. Am Boden ist er jedoch von einem Fragment der holzvertäfelten Eingangstür versperrt. Die Hand ihres linken angewinkelten Unterarmes umfasst in ziemlich riskanter Art ein langes Küchenmesser zwischen Heft und Klinge. Dabei blickt sie in die Ferne. Diese ausgeklügelt surreal anmutende Farbfotografie hat der Fotograf Matthias Leupold im Ostberlin des Jahres 1985 inszeniert. „Ohne Titel" nennt sie sich und ist seit einigen Wochen zum Plakatmotiv der aktuellen Ausstellung in der hiesigen ACC-Galerie geworden.

„An den Rändern taumelt das Glück" heißt sie poetisch vielsagend und zeigt einen äußerst spannenden und überraschenden Reigen der späten DDR-Fotografie. Nun sind Ausstellungen jener Epoche und Art nichts wirklich Neues. Mit sturer Regelmäßigkeit wurden in den letzten Jahrzehnten die fast immergleichen Bilder der ebenso fast immergleichen Fotograf*innen in Endlosschleife präsentiert. Organisiert und präsentiert von den ebenfalls immergleichen Kuratoren und Verlegern. Mit dem Ergebnis eines unfreiwillig belehrenden DDR-Fototunnelblicks, der sich in peinlicher Weise dominierend auf meist journalistische Alltagsporträts, Trümmerbild-Tristesse und subkultureller Szenefotografie verengte. Dass es noch viel mehr gibt, beweist die gegenwärtige Show. Das fängt schon bei ihrer Präsentation an.

Denn anstelle des üblich linearen Durchmeterns immergleicher Bildformate haben die Kuratorinnen Anett Jahn und Ulrike Mönnig verschieden große Bilderwolken nach eigens ausgedachten Themen installiert.

Sie setzen sich aus durchweg schwarz gerahmten Fotografien verschieden großer Formate zusammen. Zudem tauchen die größtenteils schwarzweißen Bilder sämtlicher Fotograf*innen durchmischt in vielen Räumen auf und treten in Dialog. Gekontert mit großformatigen Wallpapern und ergänzt von Diashows und Kurzfilmen. Und auch die Inhalte sind durchtrieben vielschichtig und machen von Raum zu Raum neugieriger: Eine neunköpfige Personengruppe hält sich farbige hochformatige, rechteckige Tapetenstücke vor ihre Köpfe. Daneben sind Schwarzweiß-Gruppenbilder verschiedenster Menschen in unterschiedlichsten sozialen Umgebungen auszumachen. Ein anderer Raum zeigt ausschließlich sitzende Menschen auf Bänken, ein weiterer Kindheits - und Jugendbilder. In den Gängen der Galerie sind Alltags, - Architektur und Interieurfotografien unterschiedlichster Art zu sehen. Der größte Raum kombiniert flockig Arbeits – und Freizeitalltag. Danach folgen Bilderszenen von unterwegs bis hin zu expliziten Inszenierungen. Alles hängt mit allem zusammen. Auch ein sogenannter Transformationsraum fehlt nicht. Der bebildert die Jahre 1989 bis 1990. In den besten Momenten der Präsentation gerät man tief in den Sog der so vielgesichtigen Bilderwelten. Und genau das ist das Herausragende. Ach ja: Normalerweise werden Ausstellungen dieser Art meist von durchweg älteren Menschen über Sechzig besucht. Was sich freilich mit deren Vergewisserung ihrer Biografie und Lebensleistung erklärt. Doch auch das ist hier anders. Der Besucheranteil jüngerer Generationen ist genauso groß. Die Ausstellung ist noch bis zum 12. Februar 2023 in der ACC-Galerie Weimar zu sehen. Eine Publikation ist in Vorbereitung.

 

 

(Claus Bach)

Claus Bachs Bildarchiv: Frau mit Messer

Autor: nbv