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Claus Bachs Bildarchiv: Gecoverte Zeitreise

05. Januar 2022 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

"Sagen was ist" - dieses Zitat des Journalisten und Verlegers Rudolf Augstein sollte zur Leitlinie seines gegründeten Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" werden. Am 04. Januar 1947 erschien die erste Ausgabe.

Im 75. Jahr seines Bestehens gewährtnun das Magazin erstmals einen Blick ins Archiv aller seiner Titelbilder. Rund 3900 kann man online ansehen und beispielsweise herausfinden, welcher Titel um den eigenen Geburtstag herum abgedruckt worden war. Das ist durchaus eine visuelle Zeitreise der besonderen Art. Denn neben der bekannten Historie verrät sie auch auch viel über die Wandlungen des Coverdesigns jenes Magazins. Dessen Anspruch formulierte Spiegel-Gründer Rudolf Augstein von Beginn an sehr ehrgeizig. Jedes Cover müsse ein Unikat sein. Ästhetisch und inhaltlich herausragend, niemals austauschbar. Und in der Tat erzählt besagtes Titelblatt-Archiv sehr viel über die Befindlichkeit seiner Macher. Bis in die späten 1950iger Jahre zeigten die Cover durchweg schwarzweiß fotografierte Closeups relevanter Persönlichkeiten der jeweiligen Zeitgeschichte. Danach schlich sich langsam Farbe ins Bild ein. Auch erste sanfte Bildmontagen waren auszumachen: Beispielweise jene der Ausgabe vom 08. April 1958: Sie zeigt das farbige Porträt des uniformierten Schirmherrn der Weltausstelung in Brüssel neben dem kleinen Atomium, welches von schmalen Banner-Bändern der Flaggen der Welt umschlungen ist. In der Ausgabe vom 06. Oktober 1964 ist erstmals eine farbige Gruppenaufnahme von Gastarbeitern in der Bundesrepublik abgedruckt. Etwa Mitte der 1960iger Jahre setzte sich die Bildmontage immer mehr durch und wurde zum bestimmenden Gestaltungsmittel. In besten Momenten im Stil eines John Heartfield, des großen Fotomonteurs der Titelbilder der "Arbeiter Illustrierte Zeitung" der späten 1920iger Jahre.

Aber auch sogenannter Lifestyle beeinflusste zunehmend die Titelblatt-Designer und ließ den einen oder anderen visuellen Rohrkrepierer vom Stapel: Die farbige Fotografie eines weiblichen jungen Oberkörpersaus voyeuristischer Unteransicht illustrierte am 02. August 1970 eine Titelstory mit der Überschrift "Zuviel Sex?". Mit dem Durchmarsch der elektronischen Bildverarbeitungwaren dem Instrumentenkasten zur visualisierten Bilder-Message ab Mitte der 1990iger Jahre keine Grenzen mehr gesetzt. Gern wurden nun dokumentarische Kriegsfotografien der Zeitgeschichte verhackstückt. Wie jener Titel vom 15. April 1999 zum Einsatz deutscher Streitkräfte in der umkämpften Balkan-Republik Kosovo: Über der farbigen Fotografie einer Gruppe von Soldaten fliegen zwei Kampfhubschrauber, welche irritierenderweise in scharz weiß abgebildet sind. Doch zunehmend setzten sich auch provozierende Karrikaturen als Stilmittel durch. Jüngeres Beispiel war die des überraschend gewählten US-Präsidenten Donald Trump vom 11. November 2016: Dessen grell-orangener Kopf rast als zerstörerischer Feuerball auf die Erde zu. Jener Titel wurde später als Poster der Massenproteste in New York während seiner Amtseinführung am 20. Januar 2017 genutzt. Einen traurigen Höhepunkt setzte das minimalistisch rot eingefärbte Cover der Ausgabe vom 12. Dezember 2018 mit dem berühmten Augstein-Zitat: "Sagen was ist." Nun allerdings leider in gegenteiligem Zusammenhang. Denn jenes Heft beschäftigte sich explizit mit den erfundenen Reportagen des preisgekrönten Spiegel-Jungautoren Claas Relotius.
Fazit: Die Redaktion des Magazin vermerkt rückblickend, dass einige Titel aus heutiger Sicht aus ganz verschiedenen Gründen nicht mehr veröffentlicht werden würden. Dem ist nichts weiter hinzu zufügen.

(Claus Bach)

 

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Autor: nbv