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Claus Bachs Bildarchiv: Interaktiv geht niemals schief

01. April 2020 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

"Die Häuser sollen denen gehören, die drin wohnen!" Dieser Spruch war vor etwa 30 Jahren an diversen besetzten Gebäuden zu lesen. Speziell im rechtsfreien Zwischenraum der Wendezeit wurde diese Parole besonders in Ostdeutschland gelebt: Zuerst erkundete man ein leerstehendes Haus. Danach verschaffte man sich Zugang und zog ein. Noch ein neues Schloss eingebaut, einen Briefkasten mit Namen angebracht – und fertig. Und je mehr neue Mitbewohner nachzogen, desto besser. Wenn sich der Eigentümer meldete, verhandelte man und einigte sich irgendwie. Leider meist nur temporär.
Diese Tatsachen schufen damals auch junge Zeitgenossen in Weimar. Im März 1990 besetzten sie das Haus in der Gerberstrasse 3. Ein Brand im Erdgeschoss hatte es unbewohnbar gemacht, die restlichen Etagen waren noch einigermaßen in Schuss. Rasch war das Objekt provisorisch ausgebessert, bezogen und belebt. Und selbstverständlich gehörten Konzertraum und Kneipe dazu. Gerade letztere wurde das Sammelbecken für Nachtschwärmer unterschiedlichster sozialer Couleur. Also ein buntes Haus im ansonsten noch grauen Bild der Kulturstadt. Kult.

Die Hausbesitzerin im Westen spielte mit und überließ ihr Objekt den "Jungen Leuten" .Allerdings musste ein Nutzungskonzept mit Verein her. Allein schon, um den Dauerstress mit Nachbarn und Stadtvätern einzudämmen. Zudem ließen sich nun auch projektbezogene Fördertöpfe anzapfen.

"Haus für Soziokultur e.V." war der kleinste gemeinsame Nenner. Eine schwere Geburt im Dauerstreit der Besetzer. Er fasste alle Aktivitäten zusammen, die sich mit dem Engagement für alternative Jugendkultur verbanden. Rückblickend war das der entscheidende Schritt zur Akzeptanz des Hauses. Machte er doch nun Aktivitäten wie Kinderladen, Fahrradwerkstatt, das Kino "Filmriss", Konzerte inklusive dem Tonstudio "Wunderbar" möglich. Doch auch parteipolitisch - gebundene Maßnahmen wie die der jetzigen Bundeskanzlerin Angela Merkel waren drin: Als damalige "Bundesministerin für Frauen und Jugend" übergab sie 1992 einen Scheck über 20.000 DM an den Verein. Das sollte die immerwährenden Grabenkämpfe zwischen rechts und links befrieden.

Jene Spende wurde für die Fußbodenheizung der Kneipe verwendet. Ausgerechnet. So gingen die Jahre ins Land. Die Benutzer-Generationen wechselten, Aktionisten gingen und kamen. Einer von ihnen kandidierte im Jahr 2000 auch schon mal zur Oberbürgermeisterwahl. Irgendwann wurden die ABM-Stellen gekürzt. Irgendwann fehlte das Kino. Irgendwann sind aus Besetzern temporäre Bewohner geworden. Doch die trotzten auch jenen widrigen Umständen, welche sich neuerdings amtliches Kontaktverbot infolge Corona-Pandemie nennen. Was für ein Wort.

Am 27. März 2020 wurde die geplante Jubiläumsparty online zelebriert. Als schräger kollektiver virtueller Frohsinn mit musikalischen Beiträgen einiger Barden der Vergangenheit und Gegenwart. Diesmal aus ihren Wohnungen.

Denn merke: Interaktiv geht niemals schief.

So hält auch die "Gerber" im 30. Jahr ihres Bestehens als fester Bestandteil der örtlichen Alltagskultur durch. Unkaputtbar. Es hätte auch anders kommen können.

(Claus Bach)

 

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Autor: nbv