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Claus Bachs Bildarchiv: Jubiläen, unrund

21. August 2018 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

Am vergangenen Montag, dem 13. August jährte sich der Bau des "Antifaschistischen Schutzwalls" zum 57. Mal. Besser bekannt als Berliner Mauer.
Fast 32 Jahre alt ist auch ein Ereignis, das sich ebenfalls an jenem Ort abspielte. Akteure waren fünf junge ehemalige DDR – Bürger, kurz "Ostler" genannt.
Von Westberliner Seite aus malten sie im November 1986 einen weißen Strich auf jenes Bauwerk. So breit wie eine Malerrolle. Quer über alle bunten Mauermalereien und Graffitis. Respektlos wurden auch jene von Promi-Künstlern wie Keith Haring und A. R. Penck überstrichen. Für die fünf war das eine Reaktion auf die Touristisierung der Berliner Mauer im Westen. Denn dort hatte sie längst ihren Schrecken verloren und war zum sightseeing point geworden. Konträr zum Osten. Durch ihre DDR-Sozialisierung verwiesen die fünf auf die brutale Teilung der Stadt. In minimalistisch-subversiver Art wurde aktionistische Konzeptkunst daraus. Der Anonymität halber trugen alle Masken aus Gips. Was die Irritation der uniformierten Behörden auf beiden Seiten der Frontstadt komplett machte. Leider erholte sich die sozialistische zu schnell. Deren Kunstverständnis hielt sich buchstäblich in Grenzen. Die Angelegenheit wurde als Verletzung ihres Antifaschistischen Schutzwalls gewertet.

So ging die Sache leider nur einen Tag gut. Am nächsten wurde einer der Mauerstrichmaler durch eine unscheinbare Eisentür ins DDR-Gebiet gezerrt und geriet erneut in Stasi-Haft. Da saß er schon zwei Jahre zuvor. 1984 wurde er in den Westen abgeschoben. Seine vier Freunde folgten ihm Monate später. Alle stammten aus Weimar und galten als unerziehbar im Sinne des Sozialismus. Hatten Flugblätter zum Aufruf des Wahlboykotts in Arbeit. Diskutierten im Montagskreis der evangelischen Kirche. Was selbstverständlich als Herabwürdigung des ersten sozialistischen Staates deutscher Nation gewertet wurde. Also das ganze Programm. Nachsatz: Der inhaftierte Mauerstrichmaler wurde nach zweimonatiger Haft im Jahre 1987 von der Bundesrepublik freigekauft. Der Initiator der Aktion entpuppte sich Jahrzehnte später als ehemaliger IM der Staatssicherheit. Bittere Ironie jüngster deutscher Geschichte.

All das ist in der Publikation "Der weiße Strich" des Christoph Links Verlags nachzulesen. Vorbildlich recherchiert und außerordentlich empirisch beschrieben. Fernab narzisstischer Selbstbespiegelung. Und genau das ist das Besondere. Herausgegeben von einem der damaligen Akteure, aufgeschrieben von seiner Lebensgefährtin.
Seit April 2015 auch als Dokumentarfilm mit dem Titel "Striche ziehen" zu sehen.

(Claus Bach)

 

 
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Autor: nbv