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Claus Bachs Bildarchiv: Mit flirrendem Pinsel

15. Oktober 2021 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt! Das war eine immerwährende ostdeutsche Spruchweisheit, die sich auf die Bilder des DDR-Malers Willi Sitte in all seinen Formen und Auswüchsen bezog. Fast wie von der Stange fertigte der Künstler Einzel-, Doppel- und Gruppenporträts der werktätigen Bevölkerung im Alltagslebender DDR an: Lesende Arbeiter, schachspielende Bauleiter, kopulierende junge Pärchen am Arbeitsplatz und so weiter. Wie kein anderer wurde er seit den frühen 1960iger Jahren zu dem Protagonisten des sozialistischen Realismus. Sein naturalistischer, bisweilen expressiv-figürlicher Stilgalt für die staatlichen Kulturfunktionäre als wegweisend für die Gegenwarts- und Zukunftskunst des ersten Deutschen Arbeiter- und Bauernstaats. Mit anderen Worten: Eine perfekt kompatible Verdinglichung des neuen Menschen im Zeitalter der siegreichen sozialistischen deutschen Gesellschaftsordnung. In der Regel zeigten seine handwerklich ungemein perfekt gemalten Bilder endlos dasselbe und erzeugten durch jene andauernde Penetrierung der DDR-Alltagswelt schnell eine Art Überdruss. Sittes Bilder waren in allen Schulbüchern für Kunst und Literatur unübersehbar auszumachen.Selbstverständlich auch in sogenannten Gesellschaftsbauten wie dem "Palast der Republik" und anderen Kulturhäusern des Landes.
So wurden sie zur visuellen Blaupause des noch jungen Staates. Dabei hatte der junge Künstler völlig anders begonnen. Sein Frühwerk der 1940iger Jahre war geprägt von Kollegen wie Picasso, Fredinand Legér oder Renato Guttuso. Doch damit war in den späten 1950iger Jahren Schluss. Auf Druck der Kulturfunktionäre änderte der mittlerweile sozialistische Kunstprofessor seinen Stil und schuf danach seine berühmt-berüchtigten Malwerke.

Auch seine metaphorisch überfrachteten Historien-Allegorien wurden zu Selbstläufern seiner Künstlerkarriere. Und so kam es, das Willi Sitte zum ausgesprochenen Staatskünstler und Kulturpolitiker mutierte. Allerdings mit einer Konsequenz, die ebenfalls beispielhaft war. Denn bis zu seinem Tod im Jahre 2013 blieb er stur bei seinen künstlerischen und vor allem politischen Positionen. Trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen war er ein Gefangener seiner Karriere und wirkte letztlich wie ein merkwürdig aus der Zeit Gefallener.
Seit dem 3.Oktober 2021 ist sein Werk nun in einer umfassenden Retrospektive im Kunstmuseum Moritzburg in Halle zu sehen. Inklusive dickem Katalog, welcher einen Spannungsbogen seiner ambivalenten Haltung als Künstler und Kulturpolitikeraufzeigen will. Die bisherigen medialen Reaktionen polarisieren erwartungsgemäß. Sie bewegen sich zwischen Ablehnung, Spott und Verehrung.
In Weimar war die letzte Retrospektive von Willi Sitte 1988 in der Kunsthalle am Theaterplatz, dem heutigen "Haus der Demokratie" zu sehen. Ein Gästebuch-Eintrag jener Ausstellung lautet wie folgt: "Es gibt Honig - und Kunsthonig. Willi Sitte gehört zu den Kunsthonig-Fabrikanten." Dem ist auch bis heute nichts hinzuzufügen.

 

 

(Claus Bach)

 

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Autor: nbv