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Claus Bachs Bildarchiv: Romantische Alltagshärten

23. November 2023 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt ein junges Paar, das eng umschlungen auf der gepolsterten Bank im Abteil eines fahrenden Zuges sitzt. Sanft schmiegt sich die schlafende junge Frau in den Körper Ihres Freundes, der abwesend in die Ferne blickt. Er trägt eine schwarze Motorradjacke und hat seinen rechten Arm schützend um die Schulter seiner Freundin gelegt. Sie ist in eine helle Steppjacke gehüllt. Ihr langes, dunkles Haar ist mit einem Tuch zum Zopf gebunden. Um ihren rechten Arm hält sie die Schlaufe einer Einkaufstasche. Ihre rechte Hand umschließt den Knauf eines Stocks. Durch das Fenster im Hintergrund fliegt die Landschaft vorbei. Ein flüchtiger alltäglicher Moment, der zeitlos wirkt. Bestenfalls könnte man ihn vielleicht noch durch sehr genaues Betrachten der Bekleidung des Pärchens bestimmen. Was ziemlich schwer fallen dürfte. „Junges Paar im Zug, Ohne Jahr" ist der treffende Titel dieser Fotografie der berühmten ostdeutschen Fotografin Evelyn Richter. Es sind diese Momente der Abwesenheit, welche für die Fotografin Evelyn Richter kennzeichnend sind.

In jener Art hatte sie den ostdeutschen Alltag seit den 1950iger Jahren konsequent fotografiert. Mit einer empathischen Zurückhaltung, die stets die Würde der abgebildeten Menschen achtete. Niemand, aber auch niemand wurde jemals durch ihre Kamera vorgeführt. Ein Umstand, der für dieses Medium selten ist. Damals wie heute. Fernab jeder Inszenierung.

Richter hatte die besondere Gabe, ihre fotografierten Protagonist:innen stets unbeobachtet zu fotografieren. Ohne dabei voyeuristisch zu agieren. Seien es Frauen in der sozialistischen Produktion, Kinder beim Tragen von Fahnen auf einer Straße typischer DDR-Tristesse. Obwohl die meisten Ihrer Bilder mit Ort und Zeitpunkt betitelt sind, wirken sie stets zeitlos. Ein scheinbarer Widerspruch. Und genau das ist das Besondere. Vielleicht auch ihr Geheimnis. Irgendwie haftete ihr Blick immer in den Leuten. Sie selbst sah sich eher als Dokumentaristin und hat ihre Sache sehr sehr lang gemacht.

Bis ins hohe Alter. Seit dem 17. November 2023 ist nun Ihr Werk in einer umfassenden Ausstellung im Museum der Bildenden Künste in Leipzig zu sehen. In bester Gesellschaft ihrer einstmaligen Weggefährtin Ursula Arnold. Die Schau ist bis zum 17. März 2024 zu sehen.

 

(Claus Bach)

Claus Bachs Bildarchiv: Romantische Alltagshärten

Autor: nbv