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Claus Bachs Bildarchiv: Streifen über Streifen

20. April 2020 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach
Claus Bachs Bildarchiv, Foto: Claus Bach

Vor dem Fleischerei-Fachgeschäft in der Schwanseestraße stehen acht Personen im Abstand von jeweils 1,50 m in der Warteschlange. Alle haben sich exakt hintereinander an den kleinen rot-weißen Markierungsstreifen auf dem Plattenboden des Fußgängerwegs positioniert. Auch nach fast vier Wochen sieht das von oben gesehen immer noch etwas rätselhaft aus. Wie an einer Linie aufgefädelt stehen sie da, einem kommenden Ereignis harrend. Doch es gibt noch Steigerungen. So waren neulich zwei Personen vor einem Drogeriemarkt auszumachen, welche einen auf 1,50 m aufgeklappten Zollstock an seinen Enden zwischen sich hielten. Offensichtlich als vergewissernde Demonstration jenes personellen Mindestabstands. Neuerdings als social distancing bezeichnet und freilich der infektiös-viralen Situaton geschuldet. Und auch im Innern vieler Geschäfte spielt sich eine Art Fortsetzung jenes physikalischen Spektakels zwischen den Akteuren ab. Nachdem freundliche, meist männliche Mitarbeiter den gereinigten Einkaufswagen an die Konsumenten übergeben, bewegen sich jene auffallend bedächtig auf die Suche und Auswahl ihrer Ware. Auch dabei ist zu beobachten, wie vorsichtig neuerdings die meisten agieren. Fremd bestimmten Figuren auf einem Brettspiel gleich. Denn hinter dem Gang um die Regalecke könnten noch andere nicht auzumachende Zeitgenossen wandeln.

Und dann wäre die Mühe um den Mindestabstand futsch und die körperliche Distanz augenblicklich hinüber.
Doch auch sehenden Auges ist es nicht immer leicht, seinen Mitmenschen im Discounter distanziert auszuweichen. Vor allem dann, wenn sie zugleich aus allen Richtungen kommen. Dann wartet man ab und hält die einsfünfzig Meter irgendwie ein. Denn die meisten Läden haben ihre Böden nur im vorgeschriebenen Kassenbereich mit den rot-weißen Signalklebestreifen zugetackert.

So wirkt jener Publikumsverkehr vor und in den systemrelevanten Verkaufseinrichtungen wie eine mobile humane Installation zu Beginn einer Performance im öffentlichen Raum. Einem Filmset gleich. Vor acht Wochen wäre sowas noch als Realisierung eines künstlerischen Konzepts durchgegangen. Freilich nur mit Genehmigung des Ordnungsamts und der Geschäftsführung der betreffenden Firma. Seit vier Wochen ist es nun realer Teil unseres Alltags geworden. Mit offenem Ausgang.

(Claus Bach)

 

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Autor: nbv