Radio Beiträge
Claus Bachs Bildarchiv: Vorsicht!
07. November 2022 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch". Der Autor dieser Worte, Bertolt Brecht, wusste nicht, wie recht er haben sollte. Denn angesichts der jüngsten großflächigen Nazi-Schmierereien an Tafeln und Schildern der KZ-Gedenkstätte Buchenwald macht sich neben dem medialen Entsetzen auch eine außerordentliche Ernüchterung in Sachen Aufklärungs- und Erinnerungskultur zur NS-Vergangenheit breit. Eigentlich hätte man doch nach 77 Jahren weiter sein müssen. Aber nix da, weit gefehlt.
Ausgerechnet wieder Weimar in Thüringen. Das hat mittlerweile schon unheimliche Tradition. Dass der Umgang mit NS-Symbolen und Texten beileibe nicht nur ein lokales mediales Phänomen ist, zeigt eine Chronik der ganz eigenen Art. Im Speziellen die der Verwendung des von den Nazis missbrauchten Spruchs "Jedem das Seine" am Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Nachfolgend eine Chronik seiner Nutzung in der Werbebranche der letzten 25 Jahre:
1997 warb damit erstmals die Firma "microsoft" für Bürosoftware.
1998 nutze der Konzern "NOKIA" den Ausspruch.
1999 warb damit das Nahrungsmittelunternehmen Rewe für Grillzubehör,
1999 stand „Jedem das Seine" auf den Faltblättern der Erfurter Filiale "Burger King".
2001 war der Spruch auf einer Werbeaktion der Münchner "Merkur-Bank" zu lesen.
Im gleichen Jahr ließ sich dann auch die deutsche Telekom nicht lumpen und titelte „Jedem das Seine" in ihrer Werbebroschüre.
2009 hatten die Firmen Tchibo und Esso den Spruch für eine ihrer Kampagen entdeckt.
Im gleichen Jahr nutzt ihn "Australian Airlines" zur Werbung im Reisekatalog für Direktflüge nach Paris.
Ebenfalls 2009 hatte ihn die Suchmaschine "YAHOO" als Pressemitteilung zur Vorstellung der neuen Homepage des IT-Konzerns genutzt.
Ausgerechnet die Schüler-Union des Bundeslands Nordrhein-Westfahlen war sich nicht zu schade, ihn im gleichen Jahr für eine Kampagne zum Erhalt des gegliederten Schulsystems zu verwenden.
Im Jahr 2018 warb die Textil-Einzelhandelskette "Peek und Cloppenburg" mit dem Spruch in einem Prospekt für Herrenhemden, Krawatten und Fliegen.
Befragt nach den Ursachen winden sich die Akteure meist wie die Aale: Man hätte "...das nicht gewusst" oder "..könne nicht verstehen, dass die Vergangenheit so hochgespielt wird..." und so weiter.
Dann folgen die Bereuungs-Rituale inklusive selbstverständlichem Stopps betreffender Aktion. Doch offensichtlich wird nicht nur in der Werbebranche der kritische Verweis auf den Missbrauch diverser Nazi-Sprüche eher als eine Art lästige Zensur durch verbildete Intellektuelle, Journalisten und Politiker gesehen. Anders ist die immer währende Benutzung des KZ-Spruchs nicht mehr zu erklären. Schlichte Recherche-Faulheit und intellektuelle Einfalt wird offensichtlich mit Kreativität verwechselt.
Und wird es vermutlich nur eine Frage der Zeit sein, bis "Jedem das Seine" als Titel der Kampagne für eine Lebensversicherung in unseren Briefkästen landet. Immer offen für neue Horizonte oder so ähnlich.
(Claus Bach)
Claus Bachs Bildarchiv: Vorsicht!