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Claus Bachs Bildarchiv: Zurück zum Ursprung
19. September 2024 / Radio, Stadtzeit,Mediathek
Im gedämpften Tageslicht steht eine junge schlanke Frau schulterwärts an der geschlossenen Rollladenfront einer maroden Hausfassade. Die Frau hat ihre langen dunkelbraunen Haare zusammen gebunden, trägt eine graue Steppjacke, dunkelbraune Kniebundhosen und schwarze Schnürstiefeletten. Mit ihrem rechten angewinkelten Unterarm hält sie den Rolladen des Eingangs in Hüfthöhe offen. Dabei wird ein Blick ins Dunkel des verlassenen Ladengeschäfts freigegeben. Am Boden ist er von einem Fragment der holzvertäfelten Eingangstür versperrt. Die Hand ihres linken angewinkelten Unterarmes umfasst in ziemlich riskanter Art ein langes Küchenmesser zwischen Heft und Klinge. Dabei blickt sie in die Ferne. Diese ausgeklügelt surreal anmutende Farbfotografie hat der Fotograf Matthias Leupold im Ostberlin des Jahres 1985 inszeniert. „Ohne Titel" nennt sie sich und ist zum Plakatmotiv der Ausstellung „An den Rändern taumelt das Glück" geworden. Dieser poetisch vielsagende Titel zeigt einen äußerst spannenden und überraschenden Reigen der späten DDR-Fotografie. Nachdem sie vor zwei Jahren in der ACC-Galerie Weimar zu sehen war, ist sie nun seit dem 14. September 2024 in den Räumen der „Neuen Gesellschaft für bildende Kunst" in Berlin-Hellersdorf installiert. Nun sind Ausstellungen jener Epoche und Art nichts wirklich Neues. Mit sturer Regelmäßigkeit wurden in den letzten Jahrzehnten die fast immergleichen Bilder der ebenso fast immergleichen Fotograf:innen in Endlosschleife präsentiert. Organisiert und präsentiert von den ebenfalls immergleichen Kuratoren und Verlegern. Mit dem Ergebnis eines unfreiwillig belehrenden DDR-Fototunnelblicks, der sich in peinlicher Weise dominierend auf meist journalistische Arbeitssporträts, Trümmerbild-Tristesse und subkultureller Szenefotografie verengte.
Dass es noch viel mehr gibt, beweist jene Show. Das fängt schon bei ihrer Präsentation an. Denn anstelle des üblich linearen Durchmeterns immergleicher Bildformate haben die Kuratorinnen Anett Jahn und Ulrike Mönnig verschieden große Bilderwolken nach eigens ausgedachten Themen installiert. Sie setzen sich aus durchweg schwarz gerahmten Fotografien verschieden großer Formate zusammen. Zudem tauchen die größtenteils schwarzweißen Bilder sämtlicher Fotograf:innen durchmischt in den Räumen auf und treten in Dialog. Gekontert mit großformatigen Wallpapern und ergänzt von einer Diashow nebst Kurzfilmen. Und auch die Inhalte sind durchtrieben vielschichtig und machen von einem Raum zum anderen neugierig:
Eine neunköpfige Personengruppe hält sich farbige hochformatige, rechteckige Tapetenstücke vor ihre Köpfe. Daneben sind Schwarzweiß-Gruppenbilder verschiedenster Menschen in unterschiedlichen sozialen Umgebungen auszumachen. Ein anderer Raum zeigt sitzende Menschen auf Bänken. Des Weiteren sind Alltagsarchitektur und Interieurfotografien unterschiedlichster Art zu sehen. Begleitet von expliziten Inszenierungen. Alles hängt mit allem zusammen.
In den besten Momenten der Präsentation gerät man tief in den Sog der so vielgesichtigen Bilderwelten. Und genau das ist das Herausragende.
Die Ausstellung ist noch bis zum 16. November zu sehen.
Ein zweiter Teil wird am gleichen Ort ab dem 23. November 2024 präsentiert.
Die Frau mit dem Messer ist wieder in Berlin angekommen.
Claus Bach
Informationen zur Ausstellung: https://ngbk.de/de/programm/programm/an-den-raendern-taumelt-das-glueck
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